MZ-Artikel 03.01.2005

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Es bleiben Erinnerungen an längst vergangene Zeiten

Landesschule verschwindet allmählich. Erste Abbrucharbeiten. Alte Unterlagen und Dokumente sollen zu einem Archiv zusammengestellt werden

Von Ruth Fischer


Im Arbeitsbereich erledigten die Landesschüler ihre Hausaufgaben nachmittags von 17 bis 19 Uhr. · Foto: R. Fischer
MEINERZHAGEN · Die Bagger arbeiten, Mauern werden abgetragen, und allmählich verschwindet die Evangelische Landesschule zur Pforte aus dem Stadtbild Meinerzhagens. Nachdem es trotz intensiver Bemühungen von Stadt und Evangelischer Landeskirche nicht gelungen ist, eine neue Nutzung für das Gebäude des ehemaligen Internats-Gymnasiums zu finden, und das Bauwerk nicht einmal als Denkmal finanziell unterhalten werden konnte, sind seit kurzem die Abbrucharbeiten im Gange. Was bleibt, werden Erinnerungen sein an die Schule hoch auf dem Kopf der Stadt, an einen Ort des Lebens und Lernens, an dem bis zu 140 Schüler pro Schuljahr in einer großen Gemeinschaft lebten. Die externen Schüler aus Meinerzhagen, wohnten nicht im Internat, nahmen aber ansonsten an der Bildung und Erziehung des altsprachlichen Gymnasiums auf der Freiheit und dem gemeinsamen Leben teil. Zum Beispiel mit Übernahme von Verantwortung als Präfekt für ein Jahr oder als Mitarbeiter in der Schulbank. Dort wurden die Gelder für die Schüler verwaltet und einmal wöchentlich das Taschengeld an sie ausgezahlt.

Wenn auch die Gebäude verschwinden, soll doch die Tradition erhalten bleiben. Kann man die knapp 20 Jahre der Schule mit allen Schülern und Lehrern, mit allen Sorgen und aller Freude in der Erinnerung bewahren? fragten sich die Mitglieder des Akel, der Vereinigung ehemaliger Schüler. Sinnvoll wäre es, alle vorhandenen Unterlagen und Dokumente in einem Archiv zusammenzuführen und für die Ehemaligen zu erhalten, so die Überlegungen. Glücklicherweise hat sich der ehemalige Mathematik- und Physiklehrer Christoph Illgen aus Meinerzhagen dieser Aufgabe angenommen. Er war von der nullten bis zur letzten Stunde dabei. Nach seiner Pensionierung vor vier Jahren begann er, alle Dokumente der Schule, die ihm zugänglich waren, zu sammeln. Fotos, Bücher, Protokolle und jede Menge Gegenstände, die einst den Alltag der Schüler begleiteten. Dazu gehören auch Bilder, die in den Gängen, Räumen oder im Speisesaal die Wände zierten oder auch Landesschulbestecks. Er ist dabei ein Archiv zusammen zu stellen, zum einen für die Ehemaligen, zum anderen für die Landeskirche. In eine solche Sammlung gehören zum Beispiel das Schulstatut, Listen der Mitarbeiter und aller Schüler, Termine und Veranstaltungen, Presseveröffentlichungen, Fahrtenberichte, Internatsangelegenheiten, die eigene Schulzeitung "Neue Pforte" und vieles mehr. "Es steckt viel Arbeit darin," sein Kommentar, und noch lange sei nicht alles fertig. 68 Tonbänder mit Aufnahmen von Schulaufführungen sind bereits auf 146 CDs digitalisiert, etliche Ordner mit Schriftstücken gefüllt. Wenn alle Unterlagen zusammen gestellt sein werden, sollen die Archivalien für die Ehemaligen nach Schulpforta in Bad Kösen gebracht werden.

Zur Historie: Anfangs 1968 war das Gymnasium eine reine Jungenschule und rein altsprachlich ausgerichtet. Jeder Schüler lernte Griechisch. Erst nach der Oberstufenreform konnte man wählen zwischen Griechisch oder Mathematik. Als Schwerpunkt war die Musik gesetzt. Alle mussten entweder ein Instrument spielen oder im Chor mitsingen. Hier gab es nach der Reform Abstriche. Bemerkenswerte Konzerte und Theaterstücke wurden einstudiert und in der Kapelle oder der Agora aufgeführt. Daran nahm die ganze Stadt Anteil. Gemeinsam wurden die Landesschüler in der Johanneskirche konfirmiert. In der Schule feierten sie mit ihren Eltern und Lehrern den denkwürdigen Tag.

Drei Klassenfahrten standen während der Schulzeit fest im Programm. Zum Skifahren ging es in der 9. Klasse nach Gunzesried im Allgäu, in Klasse 11 fuhr man nach Berlin und nach der Wende in die DDR. Höhepunkt der gemeinsamen Reisen war in der Oberprima die Griechenlandfahrt.

Ende der 70er Jahre entschied man sich zur Co-Edukation, Mädchen wurden aufgenommen, bis zu maximal einem Drittel der Gesamtschülerzahl. Dadurch musste ein Mädcheninternat eingerichtet werden.

12 bis 15 Lehrer machten das Kollegium aus, das war nur ein Drittel der Angestellten insgesamt. Drei Rektoren leiteten die Internatsschule: Dr. Christian Hartlich, Udo J. Beenken und Dr. Ulrich Michael Kremer. Das letzte halbe Jahr führte Heinz-Hermann Haar 1995 die Schule bis zum endgültigen Aus. Insgesamt besuchten 1040 Schüler die Landesschule zur Pforte in Meinerzhagen, die die Tradition der in Mitteldeutschland angesiedelten Landes- und Fürstenschulen Pforta in Naumburg, St. Afra in Meißen, St. Augustin in Grimma und vom Joachimsthalschen Gymnasium in Templin fortführte. Ein Ziel der Schulen war es damals wie jetzt, dass der Besuch der Schulen nicht vom Geldbeutel der Eltern, sondern der Begabung abhängen sollte.

Mit 24 Schülern hatte seinerzeit alles im Mai 1968 "Auf der Freiheit" angefangen, mit ihnen wurde das Präfektensystem aufgebaut, und nach den Sommerferien konnten die ersten schon für die Betreuung eines Zimmers eingesetzt werden. Zur Seite stand ihnen dabei ein Lehrer, der Hebdomar, der für eine Woche die Aufsicht im Internat führte. Ein System, das man derzeit so wohl nicht wieder findet und das jetzt komplett in der Versenkung verschwinden wird.


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